Lösungsorientierter Sachverständiger

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Philosophie




Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.

Karl Marx, 1845

Thesen über Feuerbach, 11. These

 

 

Der Gang aufs Land
An Landauer

Komm! ins Offene, Freund! zwar glänzt ein Weniges heute
Nur herunter und eng schließet der Himmel uns ein.
Weder die Berge sind noch aufgegangen des Waldes
Gipfel nach Wunsch und leer ruht von Gesange die Luft.
Trüb ists heut, es schlummern die Gäng' und die Gassen und fast will
Mir es scheinen, es sei, als in der bleiernen Zeit.
Dennoch gelinget der Wunsch, Rechtgläubige zweifeln an Einer
Stunde nicht und der Lust bleibe geweihet der Tag.
Denn nicht wenig erfreut, was wir vom Himmel gewonnen,
Wenn ers weigert und doch gönnet den Kindern zuletzt.
Nur daß solcher Reden und auch der Schritt’ und der Mühe
Wert der Gewinn und ganz wahr das Ergötzliche sei.
Darum hoff ich sogar, es werde, wenn das Gewünschte
Wir beginnen und erst unsere Zunge gelöst,
Und gefunden das Wort, und aufgegangen das Herz ist,
Und von trunkener Stirn' höher Besinnen entspringt,
Mit der unsern zugleich des Himmels Blüte beginnen,
Und dem offenen Blick offen der Leuchtende sein.

...



Friedrich Hölderlin






Systemisch lösungsorientierte Arbeit geht von der Idee aus, nicht im Hier und Jetzt vermeintlich unabänderlicher Verhältnisse zu verharren und zu resignieren, sondern die Suche nach einer guten Lösung in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn wir eine gute Lösung nicht finden, heißt dies nicht, dass es sie nicht gibt. Oft sehen wir mit all unseren Konditionierungen und Glaubenssätzen nur den Wald vor lauter Bäumen nicht oder verharren in alten Gewohnheiten, die uns Sicherheit versprechen, während neue ungewohnte Verhaltensweisen noch keinen Gewinn zu versprechen meinen.

So kommen wir nicht selten in Sackgassen, in denen das Alte uns nichts mehr nützt, aber das Neue noch nicht greifbar und umsetzbar erscheint. Der systemisch-lösungsorientierte Ansatz ist hier Provokateur, Geburtshelfer und Begleiter zugleich.

Systemisch heißt dabei, Konflikte, Probleme und Lösungen im Bezug auf relevante Bezugssysteme zu sehen und zu verstehen. So hilft uns ein zirkuläres Verständnis einer Problemetablierung mehr als der Glaube an einen bezugsloses Handelnden. So wird z.B. "Schizophrenie" verstanden als sinnvolles Verhalten eines Menschen in einem schizophrenen Feld (double-bind), nicht aber stigmatisierend als eine "Krankheit", die dieser oder jener hat.

Systemisch-lösungsorientierte Arbeit schaut nicht auf das Problem, wie das Kaninchen auf die Schlange, sondern hebt den Blick auf das noch Ungekannte und Unerprobte.


Gleichwohl gibt es Verhältnisse, wo wir zur Zeit keine Lösung wissen oder keine Lösung herstellen können. Denken wir hier nur an Gesetze - wie etwa das informationsfeindliche und restriktive deutsche Urheberrecht aus dem 20. Jahrhundert, das das Internet zu einem gefährlichen Aufenthaltsort werden lässt - die wir uns anders wünschen, uns aber der unmittelbare Einfluss auf den Gesetzgeber und dessen Befehlsgeber fehlt, der diese Veränderungen beschließen müsste.

Die Unmöglichkeit eine gute Lösung herbeizuführen, führt zu Leiden oder - bei dessen Verdrängung zu neurotischer Symptombildung.



Welches ist nun die Funktion langwierigen Leidens, wie es unter Menschen häufig ist? Wir wollen die Vermutung wagen, daß es uns dazu bewegen soll, uns des unmittelbar gegenwärtigen Problems anzunehmen und dann aus dem Weg zu gehen, alle Kräfte gegen die Gefahr aufzubieten und dann aus dem Weg zu gehen, nutzloses Befangensein zu lockern, den Konflikt toben und zerstören zu lassen, was zerstört werden muß.

Frederick S. Perls; Paul Goodman; Ralph F. Hefferline: “Gestalttherapie. Grundlagen“, dtv, 1979, S. 151





Systemisch-lösungsorientierte Arbeit heißt nicht, stets eine Lösung zu finden. Mitunter wird man eingestehen, diese zur Zeit nicht herstellen zu können. Gleichwohl bleibt das Prinzip Hoffnung, dass es eine Lösung gibt.

Sehr früh haben sich Gestaltpsychologen (Kurt Koffka, Wolfgang Köhler, Kurt Lewin, Max Wertheimer), der Lösung von Problemen zugewandt. Sie deuten ein Problem als Vorliegen einer schlechten Gestalt, die durch die Umstrukturierung des Problems in eine gute Gestalt überführt werden kann. Entscheidend dabei ist eine Reorganisation der ursprünglichen Problemrepräsentation, wodurch die Problemlösung ermöglicht wird.

Problemlösung kann, im Gegensatz zum Kompromiss, bezeichnet werden, als die Herbeiführung eines Zustandes, in dem die vorgefundene (analysierte, erkannte) Widersprüchlichkeit aufgehoben wird.

Nach Carl Duncker (1935) kann dieser Zustand insbesondere durch Umstrukturieren der Sachlage bzw. durch Umstrukturieren der Sicht auf die vermeintliche Sachlage herbeigeführt werden. Probleme zu lösen ist somit anspruchsvoller als lediglich Kompromisse herbeizuführen.

Probleme zu lösen, so unsere herkömmliche Sicht, erfordert zuallererst gründliche Analysen der Entwicklung, der Sachlage, der Widerspruchskonstellation, der möglichen Nebenwirkungen einer Umstrukturierung, die entweder sehr gering sein müssen, aber auf jeden Fall in die Problemanalyse einzubeziehen sind, um sie gänzlich zu vermeiden oder gering zu halten.

Unterschieden wird zwischen der Abschwächung des Problems bis zur beiderseitigen Erträglichkeit und der Aufhebung des Problems. Erträglichkeit kann durch Kompromisse herbeigeführt werden.





In der Schulmathematik kann das Finden einer Lösung für eine Aufgabe relativ einfach sein.



Zum Beispiel bei der Gleichung

3 + x = 8

Es gibt nur eine Lösung.

Die Lösung lautet

x = 5



Ein Vorschulkind kann diese Gleichung in der Regel noch nicht lösen. Für dieses Kind ist die Lösung der Gleichung keine Aufgabe, sondern ein Problem. Für einen durchschnittlichen Schüler der 8. Klasse wird die Lösung der Gleichung dagegen kein Problem, sondern nur eine Aufgabe darstellen.



Die Gleichung

2 x + 3 y = 6

hat im Bereich der natürlichen Zahlen zwei Lösungen:



Lösung 1:

x = 0, y = 2




Lösung 2:

x = 3, y = 0



Was im Bereich der Schulmathematik noch überschaubar und damit meist lösbar ist, kann sich woanders wesentlich schwieriger darstellen.






Das Neun-Punkte-Problem

Das Neun-Punkte-Problem stellt ein typisch gestaltpsychologisches Untersuchungsparadigma dar. Die geforderte Leistung besteht darin, neun Punkte, die in der Form eines Quadrates angeordnet sind, mit vier geraden Strichen - ohne abzusetzen - zu verbinden.





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                                                                                      o                     o                     o



                                                                                      o                      o                    o







Die Schwierigkeit bei der Lösung der Aufgabe besteht darin, sich von einer bestimmten vorgefassten und gewohnheitsmäßig gewordenen Wahrnehmung zu lösen, im Falle des Neun-Punkte-Problems von der Quadratwahrnehmung, einer Wahrnehmung, zu der nach Auffassung der Gestalttheorie das menschliche Individuum bei der Wahrnehmung der Punktekonfiguration tendiert. Erst wenn diese Wahrnehmung verändert ist, das Wahrnehmungsfeld also umstrukturiert wird, ist eine Möglichkeit zur Problemlösung geschaffen.

Das Heraustreten aus dem gewohnten System (Struktur) ist eine wesentliche Voraussetzung, um Eskalationen in Systemen zu beenden oder paradoxe Kommunikationen zwischen Beziehungspartnern zu beenden (vgl. Watzlawick, S. 215). Die landesweit teils noch übliche familiengerichtliche Praxis ist dagegen ein Paradebeispiel dafür, wie mit erheblichen logistischen und finanziellen Aufwand, zum großen Teil aus Mitteln der Steuerzahler oder des finanzstärkeren Elternteils, ein Spiel ohne Ende in Gang gehalten wird oder als "Alternative", ein Ende mit Schrecken (staatlich betriebene Elternselektion durch Ausschluss des Umganges oder Entzug des Sorgerechtes) gerichtlicherseits zur Lösung erklärt wird. Um dieser Bankrotterklärung ein rechtsstaatlich, demokratisch-wissenschaftlich verbrämtes Mäntelchen umzuhängen, werden vom Gericht nicht selten halbgebildete Gutachter beauftragt, die genügend gewissen- und skrupellos sind und sich nicht scheuen, dem unwürdigen Ganzen eine "wissenschaftliche" Weihe zu geben.



In der Praxis, auch der familiengerichtlichen, kommt es häufig nicht zu einer Lösung des Problems, jedoch oft nicht deshalb, weil es keine Lösung gäbe, sondern weil man keine Lösung sieht oder sehen will. Dies gilt oft auch für Fachkräfte, was auf den ersten Blick verwundern mag, doch bei genaueren Hinsehen wird erkennbar, dass diese Fachkräfte ein bestimmtes in ihrer eigenen Sozialisation entstandenes Weltbild haben, in der die Lösung von Konflikten und Problemen nicht vorgesehen ist oder negativ bewertet wird.

So werden häufig bestenfalls nur Kompromisse gefunden oder sogar Problemverschärfungen herbeigeführt. Dies liegt auch daran, dass die im System relevanten Akteure ihre Kräfte messen, anstatt gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.



Problem und Konflikt sind nicht identisch. So kann es sein, dass ein Konflikt kein Problem darstellt und ein Problem kein Konflikt. So z.B. wenn man jemanden das Neun-Punkte-Problem vorlegt und ihn um eine Lösung innerhalb von 2 Stunden bittet. Ist derjenige an der Lösung interessiert, wird er versuchen, das Problem zu lösen. Dabei kann er in einen Konflikt geraten, so z.B. wenn er sich die nächsten Stunden nur noch um die Problemlösung kümmert und seine Partnerin ihn anruft, ob er die Kinder nicht gleich vom Kindergarten abholen kann. Er hat dann den Konflikt zwischen dem Lösen des Problems innerhalb von 2 Stunden und der Bitte seiner Partnerin, die Kinder aus dem Kindergarten abzuholen.

Andersherum gibt es Menschen, die einen Konflikt miteinander haben, z.B. zwei sich dauernd streitende Partner. Dieser Konflikt muss aber für die beiden kein Problem darstellen. So z.B. wenn die beiden mit der Aufrechterhaltung ihres Konfliktes eine ihnen beiden unangenehme oder gefährliche persönliche Nähe vermeiden wollen. Der Konflikt ist dann eine Lösung ihres Problems ihrer Angst vor Nähe. Da Menschen (hier Mann und Frau) aber auch ein Bedürfnis nach Nähe haben, haben beide gleichzeitig das Problem, sich dieses Bedürfnis nicht erfüllen zu können.



Da ein Problem auch als eine, wenn auch "ungute" Lösung eines Konfliktes verstanden werden kann, kann das Problem nicht ohne weiteres "abgeschafft" werden. Wenn wir aber an Stelle des aktuellen Problems eine "gute" Lösung setzen, brauchen wir das Problem nicht mehr.

 

 

 

 

Lösungsorientiert versus Entscheidungsorientiert 

Lösungsorientierte Tätigkeit des Sachverständigen heißt für uns nicht, dass der Sachverständige die ihm im Kontext des familiengerichtlichen Vefahrens zukommende Verantwortung auf die Eltern oder andere Verfahrensbeteiligte abwälzt, frei nach dem Motto: Ihr seid die Experten und müsst die Lösung selber finden, sondern dass er an wichtiger Stelle als Geburtshelfer, Moderator und Impulsgeber fungiert und so dies nötig wird, explizit und überzeugend auf die Beweisfrage des Gerichtes antwortet, ohne dass hierfür vorher ein Konsens mit den Verfahrensbeteiligten gefunden wurde.

Die Tätigkeit des lösungsorientierten Sachverständigen hilft dem Gericht in diesem Fall, einen der Sachlage angemessenen Beschluss zu treffen, der zu einer "guten Lösung" beitragen kann oder ihn gegebenenfalls sogar erst ermöglicht. Der scheinbare Gegensatz: Lösungsorientiert versus Entscheidungsorientiert erweist sich vor diesem Hintergrund als irrelevant, grad wie es einem guten Bild egal ist, ob es ein Aquarell oder ein Ölgemälde ist.